Trackspatz auf Weltreise

Libyen: Grenzerfahrung

Libyen: Grenzerfahrung

Wir wollten ja nur mal gucken. Nur mal so..

Also, rübergucken nach Libyen. Nicht dass wir neugierig wären. Aber gucken darf man doch mal?

Ja, darf man. Muss man aber nicht. Nicht unbedingt.

Aber von vorn:

Nachdem wir uns an der tunesischen Sahara nun ein wenig abgearbeitet haben und im Westen auch an der algerischen Grenze „geschnuppert“ hatten (was uns schon Facebook-Follower unter den Grenzsoldaten eingebracht hat), wollen wir das Land auch nach Südosten hin durchmessen. Nach Libyen rein geht ja nicht. Jedenfalls nicht für uns.

Was uns östlich von Medenine auffällt, ist die für tunesische Verkehrsverhältnisse exorbitante Verkehrsdichte auf einer ungewöhnlich breit ausgebauten Straße Richtung Tripoli. Da brummt der Bär mit dicken Lastzügen und hoffnungslos überladenen Pick-Ups und PKW, da beginnt am Straßenrand ein unfassbar dichtes Angebot an Benzin aus wilden Stapeln von einfachen Plastikkanistern, aber auch aus spritgefüllten Getränkeflaschen. Alle 20 Meter ein anderer Händler. Sicherheit? Pruuuuuust...
Kraftstoff, legal aus Libyen import-geschmuggelt, ersetzen vielerorts die Tankstellen. Hoffentlich gibt es hier nur Nichtraucher...

Ben Guerdane

Ben Guerdane

Und dann kommt Ben Guerdane. Die Stadt ist die letzte auf dem Weg nach Libyen. Knapp 30 km vor der Grenze. Man kann sie kaum beschreiben. Man stelle sich das Wareneingangslager eines riesigen Einkaufszentrums vor, verteilt auf die Durchgangsstraße einer mittleren Stadt, dabei aber jeder erkennbaren Struktur entsagend und zum erheblichen Teil unter freiem Himmel stattfindend. Dabei reicht es auf beiden Straßenseiten bis auf eben diese Straße, und tausende von Händlern und Käufern toben sich dadurch auf der Fahrbahn aus. Was ebenso tausende von Autos und gefühlt zehntausende von Mopeds nicht hindert, sich durch dieses Chaos einen Weg zu bahnen.

Wie auch wir.

Ben Guerdane

Ben Guerdane

Berge von Getränkepaletten, Waschmaschinen, Adidas(?)-Hosen, Waschmittel, Autoreifen, Kühlschränken, immer wieder Benzinkanistern, Kochtöpfen, Babywindeln, Autobatterien, Konserven und allem, was man sich nur vorstellen mag (oder besser nicht), werden auf Kilometern in einem unfassbaren Trubel feilgeboten. Woher all das Zeug kommt und wohin es geht, erschließt sich uns nicht. Wenn es aus Libyen kommt – wie kommt es denn dann erst mal nach Libyen hinein, das ja keine funktionierende Wirtschaft mehr hat? Nun, wir werden es so schnell nicht klären.

Ben Guerdane

Libysche Grenze

Am östlichen Ortsrand (und der ist weit draußen) hat sich der Trubel verloren. Dafür erwartet uns eine der vielen Militär- bzw. Polizeikontrollen. Kontrolliert wird kaum, zu 95% werden wir durchgewinkt. Nicht so hier: Während die Ströme an einheimischen Fahrzeugen einfach durchrauschen, weist man uns an, zur Seite zu rollen und zu halten. Dann bittet man um unsere Pässe. Sehr, SEHR freundlich, aber bestimmt. Das Problem ist die Sprache. Unser Französisch ist rudimentär, und je weiter man in Tunesien nach Süden kommt, desto überschaubarer werden auch die Sprachkenntnisse der Tunesier. Englisch gar nicht, Französisch kaum. Ein bisschen deutsch können Souvenirhändler und Fremdenführer. Aber die kontrollieren keine Autos.

Grenze Lybien

Irgendwann haben wir verstanden, dass wir nicht weiterdürfen. Es sei zu gefährlich. Schließlich seien wir direkt an der libyschen Grenze. Unser Einwand, dass da neben uns hunderte von Autos einfach so durchschnüren, beantworten die Soldaten damit, dass das Händler und Geschäftsleute seien. Aha. Auch weisen wir darauf hin, dass es noch fast 30 km bis zur Grenze seien, bis zu der wir ja gar nicht wollen. Nur die Gegend dort wollen wir uns anschauen. Doch, sagen sie, wir seien direkt an der Grenze, und zeigen uns auf unserer Karte tatsächlich einen Punkt nahe dem Grenzübergang. Ganz offensichtlich wissen die einfachen Burschen dort nicht mal richtig, wo sie eigentlich sind.

Aber eines sind sie: Unendlich freundlich und direkt fürsorglich. Als bei uns eine „Verhandlungspause“ eintritt, wegen Mittagszeit, bringen sie uns zwei Flaschen Mineralwasser. Wir müssten doch durstig sein. Wir sind gerührt.

Sie holen einen Vorgesetzten, der auch nicht recht weiter weiß. Schließlich meldet sich per Handy ein weiterer Vorgestzter, der ein wenig Englisch beherrscht. Julie verhandelt mit ihm. Ergebnislos. Dann taucht ein junger Mann auf. In Zivil mit schwarzer Lederjacke. Es stellt sich heraus, dass er der „Oberchef“ des ganzen Militärstützpunktes ist – und eben der Herr, der gerade mit Julie telefoniert hatte. Sein Name ist Muhammad Ali. Und er macht einen wirklich tief bekümmerten Eindruck. Lange unterhält er sich mit uns. Er zeigt sich (wie auch seine Untergebenen zuvor) ungemein interessiert an uns und unserer Reise. Unser Auto beeindruckt alle Beteiligten. Und der entscheidet: Er lässt uns freie Hand, ob wir bis zur Grenze fahren wollen. Kein Verbot, keine Restriktion. Aber er rät davon ab. Fast nebenbei erwähnt er, dass vor nicht allzu langer Zeit just am Ort ein terroristischer Anschlag von Libyen aus mit vielen Toten stattgefunden hat. Häh? Hier? 30 km im Inland? Er will uns wohl gutmeinend zur Umkehr drängen. Das gelingt ihm auch, aber mit einem ganz anderen Argument: Auf den nächsten 30 km kommen noch jede Menge andere Kontrollpunkte. Und an jedem müssten wir mit einem entsprechenden Aufwand rechnen bzw. mit der Hinderung an der Weiterfahrt. Dazu haben wir dann wirklich keine Lust. Diese Kontrolle war eindrucksvoll, reicht uns dann aber auch.

Natürlich bekommen er und die Soldaten unser „Werbekärtchen“ mit unserer Beschreibung. Und noch am Abend haben wir dann einen neuen Follower. Sein Name: „Muhammad Ali“.

Terroranschlag 2016

Aber dann kommt noch ein richtiger Aufwecker: Genau an diesem Abend – wir haben mal wieder „gutes“ Internet – entdecken wir in der ARD-Mediathek einen Weltspiegel-Beitrag zum Thema Tunesien und seine Sicherheit gegenüber Libyen. Und darin einen ausführlichen Bericht über das Attentat vor genau einem Jahr, das in Ben Guerdane stattfand, also in der Stadt, in der wir uns befinden. Und der Militärposten. 57 Tote und viele Verletzte gab es, als Terroristen aus Libyen den Militärposten und die Innenstadt überfielen.

Sachen gibt‘s ...

Authors

Zausel

Zausel

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Der Trackspatz guckt immer erst mal drauf, ob's sich nicht schon wieder um Werbe-Spam handelt

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Karim
Good to read , but let me explain to you , its a very dangerous area for us too , you leave yur car for 20min going to eat or shopping when you are back you can not found it(stolen) or vandalised (broken window) and local police can do nothing
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