Dem Terror keine Chance

Dem Terror keine Chance

Absolute Sicherheit kennt nur ein Wort:
todsicher.
© Walter Ludin

Helle Aufregung – nur zu unserer Sicherheit! 

Vor einigen Tagen habe ich einen weiteren mehrseitigen Blog zu unseren Erlebnissen und Erfahrungen mit der tunesischen Nationalgarde geschrieben – und ich veröffentliche ihn hier NICHT. Zwar stimmt alles, was darin beschrieben ist, aber der Bericht wird dem, was hier so „abgeht“, nach dem, was wir inzwischen erfahren durften, nicht mehr gerecht. Wir haben ja auch bereits in vorgehenden Blogs unsere Erlebnisse mit Polizei und Nationalgarde geschildert.

Darum das Erlebte nur kurz angerissen:
(Detailliere Bilder des Geschehens können wir aus verständlichen Gründen hier nicht veröffentlichen)

Standplatz im Nirgendwo

Nach einigen Tagen ständiger teils für uns unmöglich zu erklärender Kontrollen an Orten und zu Zeiten, wo wir uns an den Kopf fassten und uns fragten: Wie kommen die auf uns? Gerade hier und jetzt?, kam es zum Eklat. Diesmal war es der Zoll, der uns kontrollierte, gerade als wir nach einer Übernachtung losfahren wollten. Da riss mir der Geduldsfaden, und mein Pass flog durch die Gegend. Julie war „not amused“, der Zollbeamte auch nicht, das Telefon glühte, und nach und nach standen dann fünf Geländewagen mit zwölf Beamten unterschiedlicher Provenienz um uns herum. Zoll, Polizei, Bürgermeister, Nationalgarde.

Drei Stunden lang

Kein Mensch schien durchzublicken, was eigentlich abging oder gar wie es weitergehen sollte. Die Verständigung war auch schwierig; keiner sprach brauchbar Englisch oder gar deutsch, und mein Französisch taugt auch nicht, Voltaire oder Camus im Original zu lesen.

Schließlich telefonierte der, der der ranghöchste von allen zu sein schien, eine Weile und gab dann das Telefon an Julie weiter. Es war eine Konferenzschaltung mit einer Dame der tunesischen Botschaft in Deutschland und dem Innenministerium Tunesiens. Die Dame fungierte als Übersetzerin und darüber hinaus höchst kompetent als Vermittlerin der wahren Sachverhalte.

Alles hier auszubreiten würde zu weit führen und wäre dem Ministerium sicher auch nicht recht.

Darum hier nur eine Zusammenfassung des für Interessierte Wichtigsten (es wird lang genug):

Als erstes: Ja, Tunesien ist sicher. Aber nicht, weil es keine Bedrohung gibt, sondern weil eben die tunesischen Behörden sich unglaublich darum kümmern.

Sicherheitslage

Ja, die eigentlichen touristischen Gebiete sind sicher. Djerba, Hammamet, die Nordsahara usw. kann man bedenkenlos aufsuchen. Problematisch ist es im Inland, vor allem, je näher man der algerischen Grenze kommt. Da gibt es tatsächlich eine terroristische Bedrohung. Die Sicherheitslage in diesen Gegenden ändert sich auch ständig und wird aus verständlichen Gründen nicht veröffentlicht. Der Aufwand, der um einen betrieben wird, ist tatsächlich nicht gegen den Touristen oder gar den Tourismus gerichtet, sondern situationsgebunden.

Die Gebiete, die als sicherheitsproblematisch eingeschätzt und eingestuft werden, wechseln je nach Lage. Aus verständlichen Gründen wird diese Einstufung nicht bekanntgegeben.

Die Nationalgarde spannt in Zusammenarbeit mit der Polizei und den lokalen Behörden und durch Mithilfe der Bevölkerung (!) einen Sicherheitsschirm über jeden Touristen, der sich in diesen Gebieten aufhält. Professionelle Reisegruppen melden sich stets bei der Nationalgarde mit Angabe der Reiseroute und der jeweiligen Zeiten. Dann werden sie so unauffällig aber auch so effektiv wie möglich begleitet.

Tourists Welcome

Was wir nicht wussten: Dieser Weg steht auch uns als Einzelreisenden offen und wird uns auch dringend empfohlen! Bevor wir also zum Übernachten ins wilde Gelände fräsen, sollen wir einfach per Telefon (Nummer 193) unser Vorhaben anmelden, und wir werden dann anstandslos durch die Nationalgarde für den ganzen Aufenthalt bewacht. Das ist uns ja, wie berichtet, bereits einmal widerfahren. Das klingt völlig bekloppt, wird aber ausdrücklich so gewünscht. Das erklärt auch das Verhalten der Security, als wir eine alte römische Ruinenstätte fotografieren wollten: Die kamen wirklich nur zu uns angeprescht, um uns für die Dauer unseres „Fotoshootings“ zu begleiten und zu sichern.

Ein unfassbarer Aufwand, der dafür einen betrieben wird, für den das Ministerium aber ausdrücklich wünscht, dass er ohne Scheu in Anspruch genommen wird. Zitat: „Dafür sind die Jungs da, und die tun das gerne!“

Natürlich ist es nicht jedermanns Sache, in seinem Urlaub auf Schritt und Tritt von bis an die Zähne bewaffneten Männern begleitet zu werden. Dann sind diese Regionen nicht als Urlaubsgebiet für einen geeignet.

Aber es ist eben nicht mit „wird schon nichts passieren“ abzutun.

Terroristennest

AllahWir erfuhren, dass exakt (!) an der Stelle, wo wir übernachtet hatten, einige Zeit zuvor das Militär in der Bergflanke ein Terroristennest ausgehoben und dabei den Anführer erschossen hatte. Und dass man davon ausgehe, dass von dem Terrorkommando in eben diesem Berg noch weitere Terroristen versteckt sind.

Als sie uns fragten, wie lange wir denn da schon stehen, und wir sagten, dass wir dort übernachtet hatten, und ihnen klar wurde, dass sie uns eben nicht bemerkt und geschützt hatten, da wurden einige der Nationalgardisten sichtlich bleich und betreten.

Zum Abschied schenkte uns der Chef der Truppe noch seinen persönlichen Schlüsselanhänger: Ein blaues Herz mit der goldenen Inschrift „Allah“.

Nachtrag:

Garde Nationale

Am Ostersonntag fuhren wir zum Gottesdienst zur Kirche „St. Felix“ in Sousse; derselben Kirche, wo wir vor acht Wochen schon einmal waren (siehe Blog). Nur dass wir diesmal nicht bis zur Kirche kamen: Sousse ist die Stadt, in der vor zwei Jahren dieses entsetzliche Attentat verübt wurde, als ein Mann mit einer Maschinenpistole in einer Hotelanlage fast 40 Menschen ermordete. Zum Gottesdienst hatte die Polizei die Kirche mit ca. 20 Autos und entsprechend vielen Beamten bis in die Nebenstraßen komplett abgeriegelt und ließ ausschließlich Fußgänger ein. Sogar in der Kirchentür stand noch eine Beamtin. Die Sperre wurde erst aufgehoben, als nach dem Gottesdienst der letzte Kirchenbesucher (das waren der Pastor und wir) den Bereich verlassen hatten.

Tunesien nimmt die Sicherheit seiner Bürger und insbesondere die Sicherheit seiner Besucher wirklich ernst. Wir sollten dies anerkennen, auch wenn es hin und wieder lästig ist.

Während in Ägypten und in Syrien Christen von Muslimen gemetzelt werden, werden hier Christen von Muslimen geschützt.

Garde Nationale

Fazit

Zum Schießen.
Die Garde National hat eine an der Waffe wink

 

 

 

 

Und sie nervt doch: die Nationalgarde im schönen Tunesien

Bitter, aber halt so:

Nun sind wir wieder in Europa – und doch in Gedanken noch tief in Tunesien.

Vor allem ein Thema beschäftigt uns nach wie vor, und wir kommen nicht umhin, noch einmal abschließend ein paar Sachen zu schreiben, auch wenn es so aussehen mag, als habe uns nur dies Thema umgetrieben. So ist es aber nicht! Etliche wundervolle Erlebnisse werden wir auch noch schildern. Aber erst dies:

In meinem letzten Blog zur Nationalgarde und ihren Aktionen habe ich geschrieben, dass ich noch einen weiteren „auf der Pfanne“ hatte, diesen aber nicht veröffentlichen werde. Dabei bleibe ich NICHT. Jedes Wort darin stimmt, und wir haben weiteres erfahren, was uns diese Betrachtungen aus der Versenkung holen lässt.

Am Ende dieses Blogbeitrags gibt‘s einen Link zu dem angesprochenen Beitrag. Wer möchte, mag ihn gerne laden und lesen.

Aber zu dem Auslöser dieses Sinneswandels:

Am letzten Abend unseres Tunesienabenteuers suchen wir uns wieder einen möglichst abgelegenen Übernachtungsort – und finden ihn. Auf einem breiten Weg an einem Waldrand, fernab jeglicher Terroristenballung. Einen guten Kilometer von der Straße entfernt. Hier sind wir auch sicher davor, von der Nationalgarde behelligt zu werden. Denken wir. Der Abend und die Nacht verlaufen ruhig. Der Morgen auch noch. Wir sitzen gemütlich am Tisch, als der allfällige Geländewagen  (diesmal ein Ford Ranger) auf uns zugefahren kommt. Mit vier Mann. Einer im Anzug, einer im Försteroutfit und zwei in Zivil. Julie ruft im Scherz „Ach, die Nationalgarde!“, was der Herr im Anzug prompt bestätigt. Hallo? Ja, was haben wir denn jetzt falsch gemacht? Nun, wir würden uns im Wald aufhalten, und das sei verboten. Wie bitte? Ja, das sei zu unserer Sicherheit verboten. Zu unserer Sicherheit? Wie das denn? Na, es könne im Wald finstere Gestalten geben, die uns überfallen und ausrauben.

Verzeihung, veralbern können wir uns allein. Dazu kommen die Herrschaften vier Mann hoch am hellen Vormittag, um uns zu verscheuchen?

Der Typ im Lodendress stellt sich als Chef der Forststation und des gesamten Gebiets vor. Wir könnten und sollten uns doch bei ihm auf die Forststation stellen, nur wenige Kilometer entfernt. Prima. Erstens haben wir keine Lust, uns ständig selbst unter Aufsicht zu stellen. Zweiten haben wir dazu zumindest hier keinen Grund. Drittens müssten wir als Touristen erst mal wissen, dass es diese Station gibt und wo diese ist. Und überdies ist dies alles mittlerweile absurdes Theater-

Na, dann sollten wir doch wenigstens nahe bei der Stadt übernachten.

Es wird nicht besser. Wir flüchten ja gerade aus der Stadt heraus!

Mittlerweile ist ein fünfter Mann im Jeansanzug eingetroffen und gesellt sich zu der Meute hinzu.

Es hilft alles nicht: Erst nachdem wir den Typen versichert haben, bis Mittag weggefahren zu sein, fahren sie wieder weg. Endlich wieder allein. Denken wir.

Der Mann im Jeansanzug kommt wieder zu uns gelatscht und baut sich direkt, also gut zwei Meter, hinter und neben uns auf und beglotzt als Wachhabender jede, wirklich jede Bewegung von uns. Als Julie mal eben „im Wald verschwindet“, folgt er ihr sogar ein gutes Stück. Er lässt sich nicht mal irritieren, als ich ihn aus der Nähe fotografiere. So geht das fast zwei Stunden lang, bis wir zusammengepackt haben. Die Krönung findet es, als wir uns waschen wollen und dieser Aufdringling doch tatsächlich keinen Zentimeter weicht. Erst als wir der mitteleuropäischen Gewohnheit nachkommen und uns unbekleidet dem Wasser hingeben, akzeptiert er, dass er unerwünscht ist, und trollt sich. Aber gaaanz langsam … Eine ungeheure Zumutung!

Also, Leute, eure Fürsorge uns Besuchern gegenüber (ich nenne uns ausdrücklich nicht Touristen) ist ja wirklich bewundernswert. Wenn diese Fürsorge zur hemmungslosen und nur noch aufdringlichen Bevormundung mutiert, verbunden mit nachgerade albernen „Begründungen“, dann macht es wirklich keinen Spaß mehr. Dann sollen die tunesischen Behörden ehrlich sagen, dass im nördlichen Inland, insbesondere in der Nähe der algerischen Grenze, Individualtouristen allenfalls als Hotelgäste erwünscht sind oder anderenfalls in Kauf zu nehmen haben, mehrmals am Tag bzw. auch in der Nacht in Gewehrläufe zu blicken und vor allem stets und ständig seinen Pass zum Vorzeigen in der Hand zu halten.

Das ganze Sicherheitsgedöns ist augenscheinlich zum Selbstläufer geworden, dessen Sinnhaftigkeit den beteiligten Behörden selbst nicht immer klar ist. Ich weiß nicht, welchen Sicherheitsgewinn es bringt, bei jeder möglichen Gelegenheit unsere Pässe zu kontrollieren. Ich glaube nicht, dss es nur auf uns wenig überzeugend wirkt, irgendwelche „Begründungen“ zu phantasieren (Böse Räuber, die uns aus dem Wald überfallen, indem sie dort auf nicht vorhandene Touristen warten; irgendwelche Betrunkene, die uns überfallen könnten – und das inmitten von mehrere Höfen in geringem Abstand usw.).

Weitere Beispiele stehen in dem Blogbeitrag, den ich wie beschrieben zurückgehalten habe, und den man HIER findet: "You are welcome!" - Wirklich?

Wir haben wundervolle Erlebnisse in Tunesien gehabt, tolle Begegnungen mit ebenso tollen Menschen, wir haben uns unbekannte Gastfreundschaft erfahren, und wir werden davon auch noch etliches berichten. Ob das Land Tunesien, das ja nicht soooo einfach zu erreichen ist, und das außer der traumhaften Sahara auch nicht gerade wie Marokko vor Naturwundern strotzt, uns als Gäste so bald wiedersehen wird, bleibt zunächst einige Zeit offen angesichts der Ärgernisse, die man nun wirklich nicht haben muss.

Und mit Franz Beckenbauer und Sebastian Vettel: „Schau‘n mer mal!“