Mich darf es nicht geben.
Laut Definition in der Bibel gibt es mich nicht.

Juliane ganz klein

Ich kam als Scherbenhaufen auf die Welt. Ich war ein unglaublich stilles und introvertiertes Kind. Ängstlich, unsichtbar. Von meiner Mutter sehr geliebt.

Ich wurde in eine Sekte hinein geboren, Mich wurde gelehrt, was ich zu glauben habe. Wie ich zu glauben habe. Was ich zu denken habe und wie ich zu sein habe. Ich musste das sein, und so sein, so funktionieren, wie andere Menschen das wollten.

Das, was ich aber war, das durfte es nicht geben.

Und ich wusste nicht einmal selbst, was ich war, ich fand keine Worte dafür. Es gab keine. Als hätte ich die Sprache dafür nie gelernt.

Meine Pubertät blieb anfangs aus, sie verzögerte sich. In meiner Jugend diagnostizierte man bei mir Hormonprobleme. Die Hormone spielten Amok. Man spritzte mir Testosteron – ein männliches Hormon. Glücklicherweise nicht lange.

Mein Leben war eine Berg- und Talfahrt. Mal lebte ich eher weiblich, mal eher männlich, doch meist androgyn. So kleidete ich mich auch meist.

Mal hatte ich einen Freund, mal eine Freundin. Mit beiden kam ich nicht zurecht. Sexuelle Beziehungen verabscheute ich - ich fühlte mich asexuell.

Ich lebte sehr risikoreich und versuchte, mich so männlich wie nur möglich zu geben. Bis zum Zusammenbruch. Ich plante einen Suizid.

Eine gute Freundin machte all dem ein Ende. Sie informierte sich bei Pro Familia und brachte mich zu Selbsthilfegruppen. Ich fing an, zu begreifen. Ich war Transsexuell. Heute nennt man das Transgender, weil es nichts mit Sex zu tun hat. Und das inklusive einem körperlichen Fehler, was man heute Intergeschlechtlichkeit nennt. Ich war eine Frau!

Ich wurde von einem Psychologen und Psychiater zum andern gereicht, von Uni-Klinik zu Uni-Klinik.

Schließlich unterstützte mich mein Arbeitgeber, die Lufthansa, und änderte meinen Namen in einen Wunschnamen, kleidete mich neu und weiblich ein und bezahlte die geschlechtsangleichende Operation in einem privaten katholischen Krankenhaus (Diakonissenklinik) in Mannheim.

Das war biblisch ein Frevel. So die Definition der Sekte, in welcher ich mich noch befand. Ich wurde exkommuniziert und in die Hölle gebetet, verbal gesteinigt. Für mich aber war es ein Segen, die Rettung.

Das war vor 40 Jahren.

Im Krankenhaus stand eines Tages ein Wesen neben mir, welches mich unglaublich liebevoll anschaute. Das war Jesus. Also suchte ich fortan nach ihm, ohne zu verstehen, wen ich eigentlich suchte.

Das war ein langer Weg und führte mich in die Wüste Australiens. Bis ich ihn endlich fand – ohne Zutun von Menschen, die mir sagen wollen, wie und was ich zu glauben habe. Jesus fand MICH!
Jetzt bin ich hier, in eurer Gemeinde, in meiner Gemeinde, seit etlichen Jahren schon. Zurück aus der Wüste. Wie Hagar.

Und mit der Zeit begriff ich, dass ich nicht alleine bin. Es gibt eine viertel Milliarde Menschen, die so sind wie ich (Transgender und Intergeschlechtliche Menschen zusammengenommen). Und leider tragen sich 69% der Betroffenen mit Suizidgedanken und 43,8% versuchen es tatsächlich. Dazu gehörte ich auch.

Aber wo sind wir? Warum sieht uns keiner? Weil es uns nicht geben darf?
Wir verstecken uns. Wir wollen ganz normal sein, anerkannt und geliebt – wie jeder andere auch.

Inzwischen weiß ich auch, dass jeder, der diesen Text liest, Menschen wie mich kennt, mehrere, ohne sich dessen bewusst zu sein. In der Gemeinde, sowie draußen auf der Straße und im Beruf.

40 Jahre war ich unsichtbar. Du, Gott, bist ein Gott der mich sieht. Und du möchtest, dass ich sichtbar werde. Du möchtest, dass wir alle sichtbar werden.

Ich möchte nun Advokat für alle Menschen sein, die so sind, wie ich. In der Hoffnung, dass sie sich nicht mehr verstecken müssen und an der Kirchentür vorbei gehen - so wie ich einst.

Vor 40 Jahren - vor meiner Transition

Ich bin damit unfreiwillig ein Teil der LGBTIQ* Community (Regenbogen).
Seit 20 Jahren lebe ich nun in einer glücklichen heretosexuellen Partnerschaft, habe also eine Familie mit Tochter und bin gerade zum zweiten Mal Oma geworden.

 

 

Folgendes betrifft nur Intersex. Transgender gibt es etwa genauso viele:

Noch heute gibt es eine Stimme, die mir sagt, tu das nicht. Erzähle niemandem etwas davon. Die Menschen werden dich ablehnen, nicht mögen. Man wird dich verletzen. Aber wie viele Transgender- und Intersex-Kinder müssen noch verletzt werden, bevor sich etwas ändert? Bis der Rest dieser Welt begreift, dass man uns einfach leben lassen kann, wie wir sind? Wir müssen nicht repariert werden!

Bedeutet, anders zu sein automatisch, schlecht zu sein? Das macht Angst. Die Welt hat Angst vor Menschen, die anders sind als sie selbst. Sie schämen sich über Menschen, oder verurteilen sie, sobald sie nicht in dessen Definition des Normalen passen.

Wir müssen nicht repariert werden! Das Einzige, was wirklich repariert werden muss, ist die Art, wie Menschen mit Menschen umgehen, die anders sind als sie selbst.