Ach, es ist doch ein Jammer: Wir haben so schöne Dinge gesehen und erlebt, von denen wir sicher noch ausführlich berichten werden. Doch werden diese etwas überschattet von einer Entwicklung, die uns ein wenig die Freude raubt und unser Denken und Erleben ungut zu bestimmen beginnt:

Im letzten Blog haben wir noch etwas amüsiert und anerkennend berichtet von den schier unglaublichen Anstrengungen der Garde Nationale, uns einen „sicheren“ Aufenthalt zu ermöglichen. Bis hin zur organisierten Nachtwache. Nur nimmt das mittlerweile Ausmaße an, dass wir kaum noch dazu kommen, an etwas hier unbekümmert Freude zu haben.

Der Reihe nach:

Vorgestern haben wir uns einen Übernachtungsplatz gesucht, der nach menschlichem Ermessen wirklich nicht zu finden oder per Zufall zu erreichen ist: Schräg übern Berg ins nächste Tal geklettert und ohne Zufahrtsweg auf einem aufgegebenen Acker Quartier gemacht. Zu Fuß vom nächsten Ort zu erreichen, aber kaum mit dem Auto, vor allem nicht bei Dunkelheit.

Natürlich war binnen kürzester Zeit der nächste Schäfer mit seinem Sohn da. Übrigens ein Philosophielehrer, beschlagen mit Kant, Hegel und Habermas. Das wurde eine bezaubernde Geschichte, von der ich extra berichten werde.

Um neun Uhr, es war schon lange dunkel, hielten in einiger Entfernung zwei Land Cruiser. Wir ahnten nichts Gutes. Zu Recht: Energisch wurden wir herausgeklopft. Von wem? Na, von der Nationalgarde. Fünf Mann hoch, die uns ihre Schnellfeuergewehre unter die Nase hielten. Na bravo! Der Boss von denen sprach ein wenig Englisch. Auf unsere Frage, ob wir etwas falsch gemacht haben, wehrte er ab: Nein, sie sorgten nur für unsere Sicherheit. Hier sei es sehr gefährlich wegen der bösen, bösen Terroristen. Und dazu müssten sie wissen, woher wir kämen und wohin wir wollten. Und dazu brauchten sie unsere Pässe. „Unser“ Schäfer stand mit der halben Familie auch dabei. Wie lange wir denn hier bleiben wollten? Es wäre besser, wenn wir ihnen folgen würden, sie könnten bei sich besser für unsere Sicherheit sorgen. Wenn wir aber hier bleiben wollten, sollten wir vor unserer Weiterfahrt den Lehrer informieren, der dann sie per Telefon unterrichten würde.

Tolle Tourismuswerbung! Da fühlt man sich doch gleich frei wie ein Vogel.

De bello tunisio

Am nächsten Tag, also gestern, wir waren schon eine Weile unterwegs, kamen wir an einer Verbindungsstraße zu höchst beeindruckenden Bauwerken, ja, einer kleinen Siedlung aus der Römerzeit, die etwa 100 Meter neben der Straße liegt. Etliche „Führer“ warteten auf Kundschaft. Wir hielten an und stiegen natürlich aus, um das Ganze zu fotografieren. Wir hatten die 100m noch nicht zurückgelegt, da kam aus dem Nichts ein Land Cruiser der Nationalgarde quer durchs Gelände direkt auf uns zu, und wiederum fünf Männer stiegen aus, drei davon mit Schnellfeuergewehr in Bereitschaftshaltung. Ich hob erst mal demonstrativ die Arme. Hallo??? Wir sind hier, um von einer historischen Stätte ein paar Bilder zu machen, und wir sind einfache Besucher des Landes!

Einer von denen sprach recht gut englisch und erklärte uns wieder mal, dass es hier furchtbar gefährlich sei – wegen der Terroristen. Man sei nur für unsere Sicherheit da. Aha. Warum bedroht man uns dann mit Gewehren? Wir erklärten, dass wir uns durchaus nicht bedroht fühlten; außer von der Nationalgarde. Und dass wir langsam keine Lust mehr haben auf Tunesienbesuch. Dass diese gesamte unglaubliche Kontrolliererei nur noch abschreckend für uns wirkt und nicht für irgendwelche Terroristen. Nun, dann wollte man wie stets noch wissen, woher wir kommen und wohin wir reisen wollen. Schließlich verzichteten sie darauf, uns wie eigentlich vorgesehen während unserer Fototour zu begleiten, und rumpelten über den Acker von hinnen. Woher sie binnen Sekunden zielgerichtet auf uns Touristen herbeigerumpelt waren? Wir beginnen, Verschwörungstheorien nachzuhängen.

Es reicht? Abwarten:

Lustiges Landleben

Wir waren knapp mit der Zeit, es dunkelte schon. Da nutzten wir einfach den Platz auf einem Ackerrain in Sichtweite der Hauptstraße und einiger Gehöfte. Kaum hatten wir das Dach hochgeklappt und uns eingerichtet, da begann es auch zu regnen. Übrigens haben wir gerade Stürme, Regen und Tiefsttemperaturen von 3 (in Worten drei!) Grad. Frühling in Afrika. Wir saßen gerade gemütlich bei eingeschalteter Heizung, da hörten wir schon wieder zwei Land Cruiser herbeibollern. Wer war‘s wohl? Klar: Die Nationalgarde. Diesmal mit markantem Auftritt: Erst riefen sie nach uns, und kaum hatten sie gegen die Tür gedonnert, rissen sie diese, ohne unsere Antwort abzuwarten auf, und wir blickten wieder mal auf ihre Sturmgewehre. Das fand ich nun überhaupt nicht mehr lustig. Um unser Auto herum standen etwa zehn Nationalgardisten und die halbe Dorfbevölkerung. Hei, was für ein Trubel! Bringt doch mal die Bierbänke, Leute! Ach nö, sie wollten wieder mal nur unsere Pässe. Zu unserer Sicherheit, wie sie sagten. ?????????? Ja, hier sei es viel zu gefährlich. Wir fragten, mittlerweile leicht verstimmt, warum und weswegen. Nun ja, wir könnten von irgendwelchen betrunkenen Typen angegriffen werden. Also, das war mal eine neue Variante. Wir sollten doch besser mit ihnen mitkommen, damit sie sich um unsere Sicherheit kümmern könnten. Och nö, wollen wir eigentlich nicht. Na gut, das sei unsere Sache. Ach ja, woher wir denn kommen, und wohin wir denn am nächsten Tag wollen? Ansonsten: „Welcome in Tunisia.“

Echt?

Nicht nur der Morgen graut.

Gerade als wir am nächsten Morgen unser obligatorisches Frühstücksei köpften, hörten wir einen ebenso obligatorischen Land Cruiser auf uns zusteuern. Diesmal nur einer, und der mit nur zwei Nationalgardisten. Das übliche Programm, das wir schon pfeifen können: Einer der beiden ruft nach uns, klopft an die Tür und hält uns beim Öffnen den Gewehrlauf unter die Nase. „Welcome in Tunisia“, die Pässe bitte, woher kommen Sie, wohin soll die Fahrt gehen? Das ist nur für ihre Sicherheit wegen der bösen Terroristen“ - und bei „Terrorist“ deutet er einen langen Bart an.

Ich reagiere mittlerweile etwas ungehalten und schlage ihm recht deutlich vor, doch einfach mal seine Kollegen vom Vorabend zu fragen. Die wüssten bereits alles. Irgendwie scheint ihn dies doch zu beeindrucken: Er läuft zum Auto, wo wohl sein Chef wartet, holt sich Order und kommt wieder mit dem fröhlichen Spruch: „You are welcome! Bonne vacance!“ Ach gar.

On the road again

Wegen der Geländefahrt am Vortag haben wir noch reduzierten Luftdruck auf den Reifen und müssen aufpumpen. Der Boden ist vom Dauerregen aufgeweicht, und so fahren wir langsam ins nächste Dorf, wo wir uns auf eine asphaltierte Stelle stellen können, um den Kompressor anzuschmeißen. Wir stehen noch keine Minute (nicht übertrieben!), da hält hinter uns ein Land Cruiser der Nationalgarde, ein Gardist steigt aus und befragt uns, woher wir kommen, und wohin wir wollen. Das diene nur unserer Sicherheit. Ich schaue mich um nach der versteckten Kamera, und ein schrilles Lachen entschlüpft meinem verkrampften Körper. Julie klärt den Mann mit bewundernswerter Zurückhaltung auf, dass es langsam reicht. Und er fährt tatsächlich weiter, ohne alle unsere Daten aufgenommen zu haben.

Das Auto ist noch nicht am Horizont verschwunden, da hält in der Gegenrichtung ein Land Cruiser der Nationalgarde, und der Fahrer will wissen …

Ach, der Leser möge sich den Rest selbst zusammenreimen. Es dürfte nicht soooooo schwer fallen.

Zwei Anmerkungen:

Wie bereits weiter oben angesprochen: Die Beamten, mit denen wir zu tun hatten, waren immer ausgesucht freundlich. Nie gab es unwirsche Töne, und viele von ihnen, wenn nicht die meisten, meinten wirklich, was sie uns verkündeten. Und viele, denen wir im Rahmen unserer sprachlichen Möglichkeiten erklärten, welche Einschränkungen ihre Gängelungen für uns bedeuteten, schienen dies auch zu verstehen. Nur ändert dies nichts daran, dass es für Individualtouristen wie uns einfach irgendwann über Gebühr zu nerven beginnt.

Wir können hier natürlich nicht jedes Detail beschreiben. Nur soviel: Wenn man verschiedene Punkte in ihrer Abfolge kombiniert, kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass wir mit eindeutig geheimdienstlichen Methoden verfolgt und „begleitet“ werden. Anders sind etliche Aktionen überhaupt nicht zu erklären.

Das ist uns in einem Fall auch bestätigt worden, als wir an völlig unmöglicher Stelle im Dunkeln aufgestöbert wurden. Ein Schäfer bestätigte uns, dass in diesem Fall die Polizei wusste, dass wir uns in diesem Bereich aufhielten, und sie dann die Menschen in der Region gezielt befragten, ob sie uns gesehen hätten. Woher sie wussten, in welcher Gegend sie zu suchen hatten? Antwort: „Die Polizei hier weiß ALLES.“

Zweite Anmerkung:

In den Touristenhochburgen („Hochburg“ ist momentan ein kleiner Euphemismus)wie Djerba oder Douz oder Tozeur, auch in der Sahara selbst ließ man uns in Ruhe. Der Kontroll- und Spitzelfimmel begann erst nördlich von Gafsa, wo wir auch während der ganzen Zeit keinen einzigen anderen Touristen zu Gesicht bekamen.

So, von nun an werde ich versuchen, nur noch positive Erlebnisse (deren wir viele hatten!) zu berichten. Sonst bekomme ich Ärger mit Julie, der meine negative Sicht schwer auf den Keks geht. „Sieh nicht immer alles so eng! Ich will mich doch mehr an den schönen Dingen freuen!“

Recht hat sie.

We are welcome

P.S.: Naturgemäß gibt es hierzu keine einschlägigen Bilder..

Mich darf es nicht geben.
Laut Definition in der Bibel gibt es mich nicht.

Juliane ganz klein

Ich kam als Scherbenhaufen auf die Welt. Ich war ein unglaublich stilles und introvertiertes Kind. Ängstlich, unsichtbar. Von meiner Mutter sehr geliebt.

Ich wurde in eine Sekte hinein geboren, Mich wurde gelehrt, was ich zu glauben habe. Wie ich zu glauben habe. Was ich zu denken habe und wie ich zu sein habe. Ich musste das sein, und so sein, so funktionieren, wie andere Menschen das wollten.

Das, was ich aber war, das durfte es nicht geben.

Und ich wusste nicht einmal selbst, was ich war, ich fand keine Worte dafür. Es gab keine. Als hätte ich die Sprache dafür nie gelernt.

Meine Pubertät blieb anfangs aus, sie verzögerte sich. In meiner Jugend diagnostizierte man bei mir Hormonprobleme. Die Hormone spielten Amok. Man spritzte mir Testosteron – ein männliches Hormon. Glücklicherweise nicht lange.

Mein Leben war eine Berg- und Talfahrt. Mal lebte ich eher weiblich, mal eher männlich, doch meist androgyn. So kleidete ich mich auch meist.

Mal hatte ich einen Freund, mal eine Freundin. Mit beiden kam ich nicht zurecht. Sexuelle Beziehungen verabscheute ich - ich fühlte mich asexuell.

Ich lebte sehr risikoreich und versuchte, mich so männlich wie nur möglich zu geben. Bis zum Zusammenbruch. Ich plante einen Suizid.

Eine gute Freundin machte all dem ein Ende. Sie informierte sich bei Pro Familia und brachte mich zu Selbsthilfegruppen. Ich fing an, zu begreifen. Ich war Transsexuell. Heute nennt man das Transgender, weil es nichts mit Sex zu tun hat. Und das inklusive einem körperlichen Fehler, was man heute Intergeschlechtlichkeit nennt. Ich war eine Frau!

Ich wurde von einem Psychologen und Psychiater zum andern gereicht, von Uni-Klinik zu Uni-Klinik.

Schließlich unterstützte mich mein Arbeitgeber, die Lufthansa, und änderte meinen Namen in einen Wunschnamen, kleidete mich neu und weiblich ein und bezahlte die geschlechtsangleichende Operation in einem privaten katholischen Krankenhaus (Diakonissenklinik) in Mannheim.

Das war biblisch ein Frevel. So die Definition der Sekte, in welcher ich mich noch befand. Ich wurde exkommuniziert und in die Hölle gebetet, verbal gesteinigt. Für mich aber war es ein Segen, die Rettung.

Das war vor 40 Jahren.

Im Krankenhaus stand eines Tages ein Wesen neben mir, welches mich unglaublich liebevoll anschaute. Das war Jesus. Also suchte ich fortan nach ihm, ohne zu verstehen, wen ich eigentlich suchte.

Das war ein langer Weg und führte mich in die Wüste Australiens. Bis ich ihn endlich fand – ohne Zutun von Menschen, die mir sagen wollen, wie und was ich zu glauben habe. Jesus fand MICH!
Jetzt bin ich hier, in eurer Gemeinde, in meiner Gemeinde, seit etlichen Jahren schon. Zurück aus der Wüste. Wie Hagar.

Und mit der Zeit begriff ich, dass ich nicht alleine bin. Es gibt eine viertel Milliarde Menschen, die so sind wie ich (Transgender und Intergeschlechtliche Menschen zusammengenommen). Und leider tragen sich 69% der Betroffenen mit Suizidgedanken und 43,8% versuchen es tatsächlich. Dazu gehörte ich auch.

Aber wo sind wir? Warum sieht uns keiner? Weil es uns nicht geben darf?
Wir verstecken uns. Wir wollen ganz normal sein, anerkannt und geliebt – wie jeder andere auch.

Inzwischen weiß ich auch, dass jeder, der diesen Text liest, Menschen wie mich kennt, mehrere, ohne sich dessen bewusst zu sein. In der Gemeinde, sowie draußen auf der Straße und im Beruf.

40 Jahre war ich unsichtbar. Du, Gott, bist ein Gott der mich sieht. Und du möchtest, dass ich sichtbar werde. Du möchtest, dass wir alle sichtbar werden.

Ich möchte nun Advokat für alle Menschen sein, die so sind, wie ich. In der Hoffnung, dass sie sich nicht mehr verstecken müssen und an der Kirchentür vorbei gehen - so wie ich einst.

Vor 40 Jahren - vor meiner Transition

Ich bin damit unfreiwillig ein Teil der LGBTIQ* Community (Regenbogen).
Seit 20 Jahren lebe ich nun in einer glücklichen heretosexuellen Partnerschaft, habe also eine Familie mit Tochter und bin gerade zum zweiten Mal Oma geworden.

 

 

Folgendes betrifft nur Intersex. Transgender gibt es etwa genauso viele:

Noch heute gibt es eine Stimme, die mir sagt, tu das nicht. Erzähle niemandem etwas davon. Die Menschen werden dich ablehnen, nicht mögen. Man wird dich verletzen. Aber wie viele Transgender- und Intersex-Kinder müssen noch verletzt werden, bevor sich etwas ändert? Bis der Rest dieser Welt begreift, dass man uns einfach leben lassen kann, wie wir sind? Wir müssen nicht repariert werden!

Bedeutet, anders zu sein automatisch, schlecht zu sein? Das macht Angst. Die Welt hat Angst vor Menschen, die anders sind als sie selbst. Sie schämen sich über Menschen, oder verurteilen sie, sobald sie nicht in dessen Definition des Normalen passen.

Wir müssen nicht repariert werden! Das Einzige, was wirklich repariert werden muss, ist die Art, wie Menschen mit Menschen umgehen, die anders sind als sie selbst.

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