Trackspatz auf Weltreise

Lemberg oder Lviv

Lemberg oder Lviv

Vergangen, vergessen, vorüber?

So geht ein Lied von Freddy Quinn. Haben wir wirklich Lemberg vergessen?

Ach wo, War es doch quasi unser „Start“ in die Ukraine. Nach dem tollen Erlebnis mit unserer ersten Kirchenbesichtigung als Aperitif.

Kurzes Nachholen:

An Lemberg kommt nicht vorbei, wer über Polen von Westen in die Ukraine reist. Und es führen wirklich alle Straßen drumherum nach L‘viv, wie die Stadt auf Ukrainisch heißt. Wie eine Spinne im Netz. Der Warnung vor bösen Buben um Lemberg herum folgend, suchen wir bereits ca. 40 km vor den Toren der Stadt nach Quartier. Entgegen unserer Vermutung ist es in der Ukraine gar nicht so einfach, freie Campmöglichkeiten zu finden. Es ist ein fast reines Agrarland, und jeder Quadratmeter wird genutzt, die Äcker werden zur Straße hin allenfalls von einer Baum- und Strauchreihe begrenzt. Feldwege wie in Deutschland gibt es kaum, und die wenigen führen IMMER zu Häusern und Gehöften. Kaum einmal eine Wiese am Berghang, und wenn, dann kommt man nicht hin. Aber wir haben wie immer Glück: Weit außerhalb finden wir einen geeigneten Flecken, einigermaßen zur Straße hin abgeschirmt. Ich schrieb schon, dass unser Reiseführer praktisch nur Kirchen beschreibt. Andere Informationen müssen wir uns aus dem Internet besorgen. Dazu brauchen wir eben – mobiles Internet. Eine SIM-Karte. Zum Glück haben wir uns schon vorher informiert und KYIVSTAR als Anbieter mit der besten Abdeckung herausgefunden. Doch wo findet man eine Filiale, wo man möglichst auch noch Englisch spricht? Das Internet bietet wenig an, und das in kyrillischer Schrift. Also fahren wir erst mal rein. Es regnet, und das offenbart ein Problem Lembergs: Ein großer Teil der Straßen ist mit Kopfsteinpflaster bedeckt – und davon noch das meiste mit Blaubasalt. Bei Regen glitschig wie Schmierseife. Irgendwo habe ich von einem großen Einkaufszentrum „Forum L‘viv“ gelesen. Na, da wird es doch sicher einen solchen Laden geben. Dicker Verkehr, jede Lücke wird genutzt, und zwischendrin viele alte LKWs und Busse. Plötzlich ein Eckladen „Kyivstar“. Rechts rum – und rein in die Parklücke. Glück muss man haben. Es schüttet.

Straße in Lemberg

Der Laden ist rappelvoll, und an einer Theke kümmern sich drei junge Leute um die Kundschaft. Mehrere Aufladeautomaten fürs Handy werden eifrigst frequentiert. Irgendwie sind wir dann auch mal dran. „Do you speak English?“ Bedenkliches Kopfwackeln. Aber es geht. Der Service ist brillant, der Preis winzig (5 Euro für sechs Gigabyte), die Abdeckung formidabel. Deutschland ist da wirklich Entwicklungsland! Alles klappt ohne Ausweiskontrolle oder ähnliche Schikanen. Der junge Mann kümmert sich um alles. Nach wenigen Minuten sind wir wieder draußen im Regen.

Im Einkaufszentrum "Forum"

Aber das angeblich so tolle Einkaufszentrum wollen wir uns doch noch anschauen. Es ist nicht weit – und wie durch ein Wunder (darf man das so sagen?) finden wir auch gleich wieder einen Parkplatz, Tiefgarage geht ja nicht. Das „Forum L‘viv“ wird seinem Ruf gerecht: Keine internationale Marke, die nicht vertreten wäre. Funkelnde Juweliergeschäfte, bombastische Schuhläden, Klamotten vom feinsten und teuersten. Dazu ein Supermarkt, wie es ihn in Deutschland gewiss nur selten gibt Allein eine solche Fischabteilung gibt es nicht mal in Frankreich. Viele, viele Artikel aus Deutschland. Allerdings auch zu entsprechenden Preisen. Der Rentner mit 50 Euro monatlich geht hier nicht einkaufen. Plötzlich werden wir von einer jungen Dame angesprochen, die mitbekommen hat, dass wir deutsch sprechen. Vielleicht 17 Jahre alt. Anna. Sie freut sich unbändig, einmal ihr gelerntes Deutsch anwenden zu können – und sie spricht es nahezu perfekt. Ein Wortschatz, ein Ausdruck, wie man es selbst in Deutschland unter jungen Leuten selten hört. Eine bezaubernde Bekanntschaft. Sie ist ganz aufgeregt. Und sie liest jetzt hier mit. Hallo, Anna!

Anna im Forum

Dann machen wir etwas ganz Degoutantes: Wir gehen zu McDonald‘s essen. Sehr, sehr belebt, Wir erwischen glücklich eine Lücke und kommen schnell dran, können aber nicht lesen, was da angeboten wird. Wir erkennen ein Menü, und das nehmen wir. Der dazugehörige große Burger ist der beste, den ich je gegessen habe, und wir zahlen pro Menü gerade mal 3,50 Euro.

Hauptbahnhof in Lemberg

Ein bisschen von Lemberg wollen wir noch sehen, und so fahren wir noch zum Hauptbahnhof, der als Besonderheit, erbaut um die vorletzte Jahrhundertwende, noch den alten Wiener Stil repräsentieren soll. Und das tut er auch! Die Zufahrtstraßen sind katastrophal, der Verkehr völlig unüberschaubar, der Regen heftig und der Bahnhof beeindruckend. Weniger von außen - das kennt man alles. Aber innen ist die Zeit ein wenig stehengeblieben, trotz der riesigen Anzeigebildschirme, die die Wände der Haupthalle überwuchern. Die Gänge, getäfelt mit dunklem Holz, die Warteräume mit wunderschönen Bänken und integrierten Bars, der obenliegende Bahnsteig mit Kiosken, die über 100 Jahre alt sind. Einzig störend ist der moderne Zug auf dem Gleis. Das geht NUR mit Dampflok!

Bahnsteig Hauptbahnhof in Lemberg

Es ist mittlerweile Abend, und wo sollen wir übernachten? Bevor wir bei dem mit Verlaub Scheißwetter ewig rumsuchen, beschließen wir, die vierzig Kilometer zu unserem vorherigen Platz zurückzufahren. Da wir eh in die Karpaten weiterfahren wollen, ist es auch kein arg großer Umweg.

Draußen regnet es, drinnen im Felix freuen wir uns, euch übers Internet teilhaben lassen zu können. Plötzlich: Nichts geht mehr. Kontingent ist alle. Häh? Sechs Gigabyte? Julie findet heraus, dass bei der Einrichtung doch ein Fehler passiert ist, der nach täglich 50 MB einen Stopp verursacht. Also müssen wir noch mal hin zu dem Laden. Na ja, wir haben ja Zeit …

Am nächsten Morgen ist schönstes Wetter, das Gelände ist geeignet, und so nutzen wir die Gelegenheit, zum ersten Mal unsere neue Drohne richtig auszuprobieren (dazu später noch einige Infos). Das Ding macht richtig Spaß – und gute Bilder.

Drohnenflug in der Ukraine

Nachmittags also noch mal rein nach Lemberg zum Internetladen. Den Weg kennen wir ja schon, und der Verkehr ist erstaunlich weniger dicht als am Vortag. Wieder erhaschen wir einen komfortablen Parkplatz. Jetzt, wo es trocken ist, sind alle Gehwege der Hauptstraße dicht bevölkert mit privaten Händlern, die alles Mögliche feilbieten. Obst und Gemüse wie alte Kleidung und Schnitzartikel. Aber keine Stände wie auf einem Flohmarkt, sondern einfach auf dem Pflaster ausgebreitet; allenfalls ein Tuch darunter. Man sieht und spürt die Armut doch allenthalben.

Der junge Mann im Laden ist auch wieder an der Theke, und der Fehler ist schnell repariert. Es war nicht mal direkt seine Schuld: Unsere Konfiguration hatte er so noch nie vor sich gehabt. Was soll‘s – wir kaufen für, wie gesagt, fünf Euro noch eine zweite Sim-Karte. Man will ja flexibel sein. Und wir nutzen es auch. Während wir auf die Aktivierung warten, spricht uns ein älterer Herr mit ein paar Brocken Deutsch an. Überhaupt erinnern sich viele Menschen uns gegenüber daran, dass sie irgendwann irgendwo mal etwas Deutsch gelernt haben. Stets fühlen wir uns willkommen.

Jetzt, bei besserem Wetter, gönnen wir uns noch eine ausgedehnte Rundfahrt durch Lembergs Altstadt. Nett, aber nicht sehr aufregend. Als Ensemble wirklich schön. Muss man aber zu Fuß erkunden. Am besten mit einem Fremdenführer. Wir wollen in die Karpaten.

Sehenswürdigkeiten, soweit vorhanden, schenken wir uns. Es sind hauptsächlich Kirchen, und die sind zu fast 100 Prozent ge- und verschlossen. Auch irgendwie langweilig.

So verlassen wir Lemberg, aber diesmal nach Süden, um dem Trubel ein wenig zu entkommen.

Was uns auch gelingt.

Übrigens sind wir mittlerweile in Moldawien und nutzen in Grenznähe immer noch den Internet-Zugang in der Ukraine.

Es bleibt spannend.

Ein alter Herr in Lemberg - spricht gebrochen Deutsch

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Zausel

Zausel

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Der Trackspatz guckt immer erst mal drauf, ob's sich nicht schon wieder um Werbe-Spam handelt

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