Trackspatz auf Weltreise

Türkei - Pamukkale

Türkei - Pamukkale

Pamukkale (Betonung auf der zweiten Silbe!) - klingt das nicht so nett nach Meister Eder und seinem rothaarigen kleinen Freund?

Dabei ist Pamukkale ein Ortsteil einer ausgewachsenen Großstadt namens Denizli mit über 300.000 Einwohnern.

Und mit einem einmaligen Besuchermagneten: Kommt man dorthin, leuchten einem von weitem strahlend weiße Bergterrassen entgegen. Man fühlt sich sofort in einen Wintersportort versetzt. Pamukkale – das heißt auf Deutsch „Baumwollburg“, wobei „Baumwoll“ für besonders weiß steht. Im Deutschen nehmen wir dafür den Schnee.

Und augenbetörend weiß ist die Felsformation dort, die sich insgesamt über zwei Kilometer hinstreckt. Sie besteht aus reinem Kalk (Kalksinter), der sich aus dem 53 Grad heißen Wasser ablagert, das sich von oben in Kaskaden über den gesamten Hang ergießt und für dieses fantastische Gebilde sorgt

Pamukkale bedeutet übersetzt Baumwolle oder Baumwollschloss. Den Namen verdankt der Ort aufgrund der weißen Farbe.
Pamukkale bedeutet übersetzt Baumwolle oder Baumwollschloss. Den Namen verdankt der Ort aufgrund der weißen Farbe.

Nein, das ist nicht in Österreich im Frühling während der Schneeschmelze.
Nein, das ist nicht in Österreich im Frühling während der Schneeschmelze.

Hin und wieder verirren sich auch Touristen auf dieses Gelände.
Hin und wieder verirren sich auch Touristen auf dieses Gelände  cry

Dieses Naturphänomen wurde jahrzehntelang rücksichtslos vermarktet. Sogar eine Straße wurde durch das Gelände gebaut. Besucher wanderten millionenfach mit Schuhen über die weiße Pracht und verschmutzten das schneeweiße Terrain in übler Weise. Der Bau von luxuriösen Hotelanlagen auf den oberen Terrassen gaben der Sehenswürdigkeit den Rest. Heißes Thermalwasser wurde abgeleitet, das normalerweise in die Pools hinunter fließt, dort abkühlt und dabei Kalk ablagert. Der Effekt: das herrliche Weiß verschwand. Auch mit dem Abwasser der Anlagen wurde es nicht so genau genommen. Aus der Sehenswürdigkeit wurde eine Sehensunwürdigkeit.

Es folgten Unmengen von Protestbriefen von internationalen Umweltschutzorganisationen. Erst als die UNESCO drohte, Pamukkale den Weltkulturstatus zu entziehen, reagierten die Behörden. Nach und nach wurden alle Hotels dem Erdboden gleich gemacht und auch die Straße verschwand. Inzwischen strahlen die "Baumwoll"-Terrassen wieder so gleißend weiß, wie sie einmal waren.

Ach ja, man darf zur Schonung des weißen Grundes das Gebiet nur noch barfuß be"stiefeln". Strenge Wächter mit Trillerpfeifen achten konsequent darauf. Sie greifen ein, wenn sie wieder jemanden mit Schuhwerk erspähen oder man die vorgegebenen Pfade verlässt. Es wird viel getrillert!

Seltsam: Dieselben Menschen, die auf der Straße mit Entgeisterung auf unsere Barfüßigkeit reagieren, finden es hier ganz toll und quietschen vor Vergnügen.
Und noch mal ach ja: Fast alle Besucher sind zu dieser Zeit Chinesen.

Und ein drittes mal ach ja: Smartphones sind die neue Pest. Was das Knipsen der absurdesten Posen und Verrenkungen angeht, so ekeln sich die Asiaten offenbar vor gar nichts.

Diese Terrassen kann man begehen (kostet Eintritt). Ja, es sind viele Menschen unterwegs. Die Sinne spielen verrückt: Die Augen sagen „Hallo, das ist scheißkalt“, und dabei kann man in kleinen Teichen im warmen Wasser baden. Und jeder, der die Flächen und Hänge betritt, tut dies gaaaanz vorsichtig, denn die Augen sagen „Vorsicht, das ist verteufelt glatt, da rutschst du aus. Dabei ist der Kalkboden rau und griffig.
Viele Besucher sind in Bikini bzw. Badehose: Das 36° Grad warme Quellwasser plätschert breit den Hang herab und bildet mehrere Badepools, die eifrig genutzt werden.

Dies war ein paar Jahre lang die Zufahrtsstraße zu den Hotelanlagen oben.
Dies war ein paar Jahre lang die Zufahrtsstraße zu den Hotelanlagen oben.

Schneestapfen? Könnten auch Thermalpool in Island sein.
Schneestapfen? Könnten auch Thermalpool in Island sein.

Ein befremdlicher 'Eis'-Strand. Jetzt fehlen noch die Liegestühle.
Ein befremdlicher "Eis"-Strand. Jetzt fehlen noch die Liegestühle.

Uiii, sieht das kalt aus...!
Uiii, sieht das kalt aus...!

Inzwischen wurde ein ausgeklügeltes Bachsystem angelegt, welches den Kalk gleichmäßig über den ganzen Hang verteilt.
Inzwischen wurde ein ausgeklügeltes Bachsystem angelegt, welches den Kalk gleichmäßig über den ganzen Hang verteilt.

Mutig, mutig! Mit Eispickel
Mutig, mutig! Mit Eispickel.

Das muss doch irgendwie glatt sein...?!?
Das muss doch irgendwie glatt sein...?!?

Jetzt bloß nicht mit der Kamera ausrutschen....
Jetzt bloß nicht mit der Kamera ausrutschen...

Hat der sich verirrt?
Hat der sich verirrt?

Wir versuchen, das Gekreische und Gehopse amüsiert hinzunehmen und wenden uns nach dem Anstieg den Ruinen von Hierapolis zu, die sich genau oberhalb der Kalkwand erstrecken.
Hierapolis, auf Griechisch "Heilige Stadt" wurde vor 2200 Jahren erbaut. Bedeutend wurde die griechische Stadt erst während des Römischen Reiches und erlangte dort den Ruf als Heil- und Thermalstadt. Übrig geblieben sind Ruinen. Hier gibt es u.a. das besterhaltene Amphitheater des ganzen Orients. Steht jedenfalls so angeschrieben. Es bietet Platz für 15.000 Menschen und ist somit größer, als viele moderne Fußballstadien.

Hinter dem Theater befinden sich noch weiter Ruinen, unter anderem eine Kirche aus der Zeit des Byzantinischen Reiches. In ihr soll der Apostel Philippus begraben worden sein. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er angeblich in dieser Stadt.

Hierapolis, die 'Heilige Stadt', vor 2200 Jahren erbaut
Hierapolis, die "Heilige Stadt", vor 2200 Jahren erbaut.

Wieviele Menschen mögen wohl schon die Treppen dieses Amphithaters hinunter gestürzt sein?.
Wieviele Menschen mögen wohl schon die Treppen dieses Amphithaters hinunter gestürzt sein?

Ja, der Besuch von Pamukkale ist lohnend. Was uns aber weit mehr berührt hat als dieses zum Weltkulturerbe zählende Gelände, ist eine menschliche Begegnung:

Als wir in Pamukkale ankamen, wurden wir wie üblich gleich von etlichen Händlern „angefallen“, die uns ein Büchlein über die Sehenswürdigkeiten rund um Pamukkale verkaufen wollten. Für sieben Euro. Och nö... Neben dem Parkplatz, auf den wir fuhren, saß ein Einheimischer mit Frau und erwachsener Tochter auf der Wiese und knabberte geröstete Kürbiskerne. Oder waren es Sonnenblumenkerne? Egal.

Sofort kam er zu uns angewieselt und bot uns sein „Rundum-sorglos-Paket an: Das Buch für zwei Euro, und falls wir einen Nachtplatz suchten - wir könnten gern auf seinem „Platz“ campen. Für einen Euro, mit Strom zwei Euro.

Auf dieser Wiese begann eine ungewöhnliche Freundschaft mit einer erstaunlichen Familie
Auf dieser Wiese begann eine ungewöhnliche Freundschaft mit einer erstaunlichen Familie.

Türkische Gastfreundschaft. Sind alle Büchlein verkauft?.
Türkische Gastfreundschaft. Sind alle Büchlein verkauft? wink

Das ist selbst für die Türkei erschütternd wenig. Da es schon später Nachmittag war, nahmen wir gerne an. Der Platz, das waren ein paar Quadratmeter Betonfläche hinter seinem Haus inmitten von Landmaschinenschrott.

Optisch war es ein Mann, der nach außen hin versuchte, mit seiner Kleidung Seriosität auszustrahlen: feines Jackett mit Weste z.B. beim näheren Hinsehen doch arg ärmlich. Nicht gerade neuwertig und verschlissen.

Ein bisschen aufpassen musste er wegen der Buchverkäufer. Diese finden es nicht lustig, dass er ihnen mit seinen Dumpingpreisen das Geschäft verdirbt.

Nun, wegen der vorgerückten Stunde nahmen wir sein Angebot gern an. Frau und Tochter waren vorgelaufen, und wir rumpelten mit Felix hinterher. Ich musste mich auf der Heckstoßstange an die Rückwand kleben, weil Felix nun mal nur ein Zweisitzer ist.

Unser 'Campingplatz' für die heutige Nacht - im Hinterhof der Familie
Unser "Campingplatz" für die heutige Nacht - im Hinterhof der Familie.

Nachdem wir den Platz bezogen hatten, wurden wir natürlich ins Haus eingeladen. Und unser Eindruck einer aus den Ritzen kriechenden Ärmlichkeit setzte sich fort. Außer drei alten Sesseln keine Möbel. Kein Tisch, kein Schrank. Auch in den Zimmern keine Möbel: die gesamte Habe ist sorgfältig auf dem Fußboden entlang der Wände gestapelt. Die Frau bereitete einen Salat, dazu das allgegenwärtige Fladenbrot, ein wenig Obst. Serviert wurde in Ermangelung eines Tisches auf einem Hocker. Und dann unterhielten wir uns. Auf Deutsch, das er verblüffend gut beherrscht. Was wir erfuhren, schnürte uns die Kehle zu: der Mann ist Frührentner, und er kann nur überleben, wenn er etwas hinzuverdient. Seine Tochter ist (wie wir auch merkten) schwerbehindert. Unter anderem taubstumm, seine Frau hat einen bösartigen Hirntumor. Das erzählt er so nebenbei. Die Frau spricht nur türkisch und kann am Gespräch nicht teilnehmen - die Tochter natürlich sowieso nicht.

Unser „kleiner Türke“ erzählt davon, wie er zu seiner Rente etwas hinzuerwirtschaftet. Obstplantagen besitzt er. Sagt er. Granatäpfel - diese exportiert er. Nach Deutschland. Sagt er. Dort lässt er sie zu einem Instant-Tee verarbeiten, den er dann u.a. in Berlin an Gaststätten verkauft.

Aha.

Er kredenzt uns einen Tee, den er aus „seinem“ Pulver bereitet. Schmeckt wirklich gut.

Seine Frau zieht sich zurück. Sie muss früh morgens mit ihrem Tumor in die Klinik. Der erste Bus geht schon kurz nach fünf. Sie könnte bequem auch später fahren, aber dann kostet der Bus umgerechnet 30 Cent mehr. Das kann sich der Plantagenbesitzer nicht leisten.

Es wird noch ein angeregter Abend: Gebildet und gut informiert ist er, unser Türke. Er hat einen wachen und kritischen Blick auf nationale wie internationale Zusammenhänge, und über viele Dinge können wir durchaus kritisch sprechen.

Für viele Menschen ist das Leben in der Türkei momentan hart. Hin und wieder auch gefährlich.

Der Mann wird immer faszinierender; er ist nun wirklich vom Schicksal gebeutelt und von der Gesellschaft alles andere als verwöhnt. Aber man hat den Eindruck, als könne nichts diesen zähen kleinen Menschen wirklich umwerfen. Die Unverdrossenheit, die er ausstrahlt, ist im Wortsinn atemberaubend. Es schnürt einem die Kehle zu, und man wird wieder ein wenig demütig.

Am nächsten Morgen kommt das Wasserauto: Trinkwasser gibt’s nicht aus dem Hahn. Man ruft den Wasserlieferanten an, und der bringt Mineralwasser in Plastikflaschen bzw. -kanistern.

Zum Abschied kaufen wir „unserem kleinen Türken“ noch einige seiner Instant-Tee-Tüten ab. Da hat er Tränen der Freude in den Augen.

Woher der Tee kommt, wissen wir nicht. Jedenfalls ist das Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen.

Wir denken oft an ihn und seine Familie. Und immer wieder mal schließen wir sie in unsere Gebete ein. Manchmal bekomme ich dann auch ein wenig feuchte Augen.

Trinkbares Leitungswasser gibt es nicht aus dem Wasserhahn - es muss bestellt werden
Trinkbares Leitungswasser gibt es nicht aus dem Wasserhahn - es muss bestellt werden.

 

Dieser Blog wurde von Julie und Zausel geschrieben, den Trackspatzen.
Die Türkei bereisten wir vom 20. September bis zum 26. Oktober 2017.
Pamukkale erreichten wir am 18. Oktober.

 

 

Der Trackspatz Julie verträumt - vielleicht ist sie in Gedanken gerade beim Skifahren?
Der Trackspatz Julie verträumt - vielleicht ist sie in Gedanken gerade beim Skifahren?

Ob das wohl hält???
Ob das wohl hält???

 Pamukkale Panorama

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Julie

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Der Trackspatz guckt immer erst mal drauf, ob's sich nicht schon wieder um Werbe-Spam handelt

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